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Die Geschichte

Es gibt Gebiete, die geistige Geschichte in sich tragen. Terre de Salvaesche ist ein solches Gebiet. Seine Geschichte reicht bis an die Anfänge menschlichen Empfindens zurück. Doch wo liegt Terre de Salvaesche?

 

Im Jahr 1989 stieß ich auf ein Buch mit dem Titel »Wolfram von Eschenbach und die Wirklichkeit des Grals«. Sein Verfasser, Werner Greub, nimmt darin Wolfram beim Wort und versteht ihn als einen Dichter, der historische Tatsachen beschreibt. Aus dieser Perspektive heraus begibt sich Greub auf die Suche nach der geographischen Wirklichkeit von Terre de Salvaesche. Und er kommt zum Schluss, dass dieses eng mit Parzivals Geschichte verknüpfte Gebiet nicht – wie allgemein angenommen – im Zusammenhang mit der Katharer-Bewegung in den Ost-Pyrenäen zu lokalisieren sei. Wolfram beschreibe nicht historische Ereignisse des 13., sondern des 9. Jahrhunderts. Dadurch würde eine frühere Gralsbewegung mit einer späteren verwechselt. Wolframs Gralsburg Munsalvaesche habe nichts mit der Burg Montsegur aus dem 13. Jahrhundert zu tun. Für Greub liegt Terre de Salvaesche in der Schweiz, südöstlich von Arlesheim (Eremitage genannt). Greub liefert erstaunlich viele Anhaltspunkte zu dieser An-nahme, die er aus Wolframs Text herausliest und interpretiert. Dadurch macht er die Eremitage zum Gralsgebiet.

 

Jetzt kann man sich fragen, inwieweit die exakte geographische Lage eines Gralsgebiets für seine Wirkung von Bedeutung ist. Gralsgebiet kann auch im Kopf, im Herzen, in der Seele jedes einzelnen liegen. Es ist ja auch unklar, durch was der Gral nun eigentlich verkörpert wird: Gefäß, Stein oder gar das nach der Kreuzigung aufgefangene Blut Jesus. Darüber zu spekulieren, entspricht auch nicht der Absicht der hier aufgegriffenen Thematik.

»Der Grals-Mythos gibt Geschichte nur in Verhüllung«, schreibt Emil Bock. »Er bringt nicht Orte und Zeiten im historischen Sinn, sondern in der Schutzhülle mythisch-imaginativer Schauung. Aber wir dürfen doch sicher sein, dass hinter den mythischen Szenen historische Tatsachen stehen. [...] Und nun entfaltet sich vor uns wiederum ein wunderbares kosmisch-poetisches Milieu, das dem von Ephesus die Wage hält: Die Waldlandschaft des Grals, der Wald Soltane, wohin Herzeloyde sich zurückgezogen hat und ihren Sohn Parzival gebiert in der Hoffnung, ihn vor den Verführungen der Welt schützen zu können. Dieses Waldmilieu in der besonderen Färbung, die es um jenen europäischen Knotenpunkt (Basel) herum annimmt, sei es ins Elsass oder in den Jura hinein, gibt uns den anschaulichen Hintergrund für die stillen Ereignisse des 9. Jahrhunderts.«

Aber historische Genauigkeit (wenn es so etwas überhaupt gibt) war für meine Arbeit nicht von Bedeutung. Ich bin u.a. bestrebt, fotografische Bilder im Bereich des Mythologischen zu schaffen. Der Gral und sein Umfeld sind für mich in erster Linie eine Inspirationslegende, die Konzentrierung eines künstlerischen Konzepts auf einen Initial-Impuls. Auf dieser Ebene beschäftigte ich mich auch mit dem anthroposo-phischen Gedankengut zur Gralsthematik, ohne eine solche Sichtweise auch auf sonstige Bereiche auszudehnen.

Im Jahr 1979 hatte ich – ohne von ihrer Geschichte zu wissen – die Eremitage (Terre de Salvaesche) für mich entdeckt. Wenn man so will, drang ich wie Parzival als unwissender Narr in diese Welt ein. Nach einigen Stunden nahm ich ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit mit. Jahrelang betrat ich dann diesen Ort nicht mehr. Ich hatte einigen Stunden nahm ich ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit mit. Jahrelang betrat ich dann diesen Ort nicht mehr. Ich hatte anderes zu tun. Es blieb aber etwas zurück und schlummerte in mir.

 

Als Künstler suchte ich schon immer die Auseinandersetzung mit dem Mysterium von Leben und seinen Erscheinungen. Sind wir zu stark im Visuellen verhaftet, so müssen wir uns manchmal fragen, ob Leben nicht bloß eine Erscheinung ist. Bilder können unsere Erfahrungen prägen, denn die Nahrung für die Seele sind Bilder. Doch das Reale, im Boden Verhaftete an Terre de Salvaesche lässt genau da eine fruchtbare Verbindung zwischen der so genannten Außen- und Innenwelt entstehen.

Das Gebiet hinter Arlesheim, mit seinen vielen Höhlen, den Steintreppen, dem See, mitten im Wald gelegen, war schon vor der Ankunft der Römer eine Kultstätte der Druidenpriester. Danach ließen sich dort irische und fränkische Mönche nieder, die das arianische Christentum brachten. Im 8. Jahrhundert  gehörte Arlesheim den Etichonen. Im Jahre 708 vererbte die heilige Odilie ihren Dinghof Arlesheim an ihr Kloster Niedermünster.

Nach der »Parzival-Zeit« (bei Greub also im 9. Jahrhundert)  wurde der Ort dem Bistum Basel einverleibt. 1250 traf der Scholastiker Albertus Magnus dort ein. Hinter dem See Brumbane stand (in der Zeit um das Konzil von Basel) ein Beginenkloster. In den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts ließ Balbina von Andlau in der Eremitage einen englischen Garten anlegen. Der Maler Lauterburg wurde dazu durch die Frau des Grafen Cagliostro (ein angeblicher Schüler des Grafen von Saint-Germain, aber mehrheitlich als Scharlatan betitelt) als Architekt aus London nach Basel geholt.

In der Eremitage findet man auch eine Motivtafel der Freimaurer. Hermann Jülich schreibt dazu in seiner Schrift »Arlesheim und Odilie«: »Diese Motivtafel trägt am Kopfe eine Rose. Sie deutet damit auf eine Strömung, die das ganze Mittelalter hindurch ein Christentum gepflegt hat, das sich seines Zusammenhanges mit der Odilien-Strömung wohl bewusst war.« Greub kombiniert daraus: »Wenn man Albertus Magnus als einen der Väter des späteren Rosenkreuzertums betrachtet, dann dürfte der Ort, an welchem der Grund zu dieser Geistesströmung gelegt worden ist  –  geographisch gesehen  –  auch in der Gegend des damaligen Auf-enthaltsortes des Albertus Magnus gesucht werden.« Greub meint, die Höhle des Trevrizents »wäre so recht ein Ort, an welchem die Erziehung eines  –  im Sinne der großen Mysterien der Antike, aber in neuer, christ-licher Art  –  einzuweihenden Geistesführers hätte stattfinden können.« Er vermutet (da zu der fraglichen Zeit auch der heilige Thomas in unbekannter Mission und unbekannten Ortes von Paris abwesend war) einige große Gelehrte, zusammen mit Albertus Magnus, um das Jahr 1250 in der Gegend hinter Arlesheim. Die Eremitage entstand übrigens im selben Jahr (1785), in dem Mozart Freimaurer wurde.

Kehren wir zu Parzival zurück. Terre de Salvaesche ist wie ein Bühnenbild, das den Hintergrund für die Handlungen um die Suche nach dem Gral bildet. Wir finden den Hof Soltane (Parzival wuchs dort auf), die Halde (Parzival begegnete dort den Rittern des Karnakaranz), das Felsentor als Eingang zum Wald Soltane, den See Brumbane, die Klause der Sigune, die Höhle des Trevrizents, den Orilus Fels, den Wald Brizljan.

Wir befinden uns in einer Artus-Landschaft. Rudolf Steiner lokalisierte die Sigune-Szene in der Gegend von Arlesheim. Emil Bock berichtet »wie ihm (Steiner) einmal angesichts der Pieta-Gruppe von Michelangelo in der Peterskirche zu Rom eine wichtige Erkenntnis über die Grals-Geheimnisse gekommen sei. Das plastische Kunstwerk wurde ihm wie transparent für die Szene, in welcher Parsifal nahe bei der Klausnerhöhle des Trevrizent Sigune antrifft, die den toten Bräutigam, Schionatulander, auf dem Schosse trägt. Eben diese Grals-Szene führt, wie Dr. Steiner in persönlichen Gesprächen gesagt hat, in die Landschaft des Dornacher Baues (Goetheanum): an die Grotten der Eremitage bei Arlesheim, wohin sich im 8. Jahrhundert die heilige Odilie vor ihrem Vater geflüchtet hatte.«

Parzival ist eine Initiations-Geschichte. Der von der Mutter behütete, vor der Welt geschützte Junge, dessen Vater beim Waffen-Kampf (Reibung mit dem Irdischen) getötet wurde, trifft an der ersten Schwelle zum Mann auf die Ritter des Karnakaranz, hört von König Artus, will sofort an seinen Hof. Da seine Mutter das nicht verhindern kann, kleidet sie ihn als Narren. Schon kurz nachdem er sich auf den Weg gemacht hat, überrascht er die Dame Jeschute im Zelt, raubt ihr Kuss und Ring. Von ihrem Gemahl, dem Herzog Orilus, wird sie deswegen der Untreue verdächtigt. Er misshan-delt sie dafür. Der naive Narr Parzival stiftet erstmals Unfrieden und kämpft gegen Orilus. Er begegnet auch seiner Kusine Sigune, die den toten Schionatulander beweint. Zuvor rief seine Mutter ihn »bon fils, cher fils« oder »beau fils«. Sigune nennt ihm seinen richtigen Namen, den der Junge selbst nicht gekannt hat: Fürwahr, du heißest Parzival. Der Name sagt: »Inmitten durch«.

Parzival macht sich weiter auf den Weg, besiegt den Roten Ritter.

Der Rote Ritter symbolisiert Blutskräfte, die Parzival im Zustand reiner Dumpfheit erworben hat. Wolfram nennt diese Phase, die keinem Gralssucher erspart bleibt: »zwivel«. Nun trägt Parzival, mit König Artus Erlaubnis, die Rüstung des Roten Ritters. Doch eine Rüstung allein macht noch keinen Ritter. Gournemanz bringt ihm Rittertugenden bei. Jetzt muss er sich in Rittertaten bewähren, er will Ritterruhm erreichen, ist ständig unterwegs, kommt nach Beaurepaire, wo er für die Königin Con-duir amour, die vom Heer eines enttäuschten, schottischen Freiers bela-gert wird,  kämpft. Parzival siegt und heiratet die Königin. Doch er kann nicht bleiben und muss, wie schon sein Vater, ständig weiterziehen.

 

Nach eineindrittel Jahren Abwesenheit von Soltane (Terre de Salvaesche) kommt Parzival in einem Gewaltsritt zurück. Greub beschreibt und lokalisiert das folgendermaßen: »An der Grotte mit dem schnellen Brunnen  –  dem Sigune Ort  –  reitet er ohne Halt dem Bach entlang aufwärts und kommt bald an den See Brumbane. Der heutige Überrest des Sees wird Öleweiher genannt. Anfortas (als Fischer auf dem See) lädt Parzival ein, zu ihm nach Munsalvaesche zu kommen und beschreibt ihm den Weg, den er zu reiten hat. Die Wegweisung, die Anfortas gibt, ist so eindeutig, dass sie auch heute noch befolgt werden kann.« Parzival erreicht die Gralsburg. Dort erlebt er die wundersame Speisung durch den Gral, unterlässt es aber, dem leidenden Anfortas die entscheidende Frage zu stellen. Am nächsten Morgen verlässt er die Burg Munsalvaesche, die scheinbar völlig leer ist. Parzival kehrt zu Artus zurück und wird in die Tafelrunde aufgenommen. Dort wird er von Kundrie la Surziére (was Zauberin bedeutet) öffentlich verflucht, weil er dem Gralskönig (Anfortas) nicht geholfen hat. Sie ist ein tierähnliches Wesen, spricht jedoch fremde Sprachen und kennt sich in Wissenschaften wie Dialektik, Geometrie und Astronomie aus. Sie ist die Gralsbotin. In  aller Deutlichkeit verurteilt sie Parzival und spricht dazu der Tafelrunde alle Ehre und Ruhm ab, da er doch in deren Mitte weile.

Sie schimpft Parzival einen Hartherzigen, der sich nicht um Anfortas Leiden scherte. Schweigen war dort Sünde. In Ehrlosigkeit sei er der Gralsberufung ausgewichen.

Rudolf Meier schreibt in seinem Buch »Zum Raum wird hier die Zeit« zu der Szene: »Parzival war den Tafelrundern soeben noch als leibhaftiger Engel erschienen. Aber Heiligkeit, allzu schnell gewonnen, erweist sich oft als Trug. Echte Selbsterkenntnis enthüllt, dass man nicht ungestraft die Stufen der Menschwerdung überspringen kann. Sie führen durch die natürliche Entfaltung der Neigungen und Begabungen, wie sie nur im steten Umgang mit dem Erdenleben in seiner Tiefe und Breite erlebt werden kann.«

Am Karfreitag kommt Parzival erneut in die Eremitage zurück. Beim Marstall, einem Felsentor, trifft er auf Trevrizent. Sie gehen in seine Höhle, wo der Einsiedler über Gott, den Gral und  den leidenden Anfortas spricht. Anfortas, Trevrizents älterer Bruder und Gralskönig, hatte –  ständig auf der Suche nach Minne – gegen die Gralsgesetze verstoßen. »Amor war stets sein Feldgeschrei«, sagt der Einsiedler. Im Dienste von Orgeluse (einer edlen Frau) bestand Anfortas Abenteuer um Abenteuer. Dann traf ihn der giftdurchtränkte Speer eines Heiden im Kampf, der dadurch die Macht des Grals an sich reißen wollte. Die Wunde am Schambein schloss sich seitdem nicht mehr. Schlimmer war aber, dass der Gralskönig nicht sterben konnte. Um ihn von seinem Leiden zu erlösen, muss zuerst der Speer, der ihm die Wunde zugefügt hatte, gefunden werden. Rudolf Meier: »Parzival ist diejenige Individualität, die für diese Tat als reif befunden wird. Indem sie ihren Erdenweg antritt, ruht bereits eine Verheißung auf ihr. Sie ist die Hoffnung der geistigen Welt; die Hüter der Mysterien schauen auf ihre Entwicklung hin. Aus ihren reinsten Jugendkräften dringt sie zu einer Anschauung der Gralsgeheimnisse vor. Aber sie kann diese noch nicht aus der Kraft der voll erwachten Menschlichkeit ergreifen. Sie muss noch einen schweren Schicksalsweg beschreiten, auf dem sie  –  abgeschnitten vom Geistesschauen  –  in der Selbstbehauptung gegenüber den Mächten ihrer Zeit, aber auch in der unbeirrbaren Treue gegen sich selbst jene Kräfte erringt, die zum stärksten Einsatz für die heiligen Weltenziele fähig sind. Dieser Zeitpunkt ist nahegekommen, als Parzival an jenem Karfreitagmorgen vor Trevrizent steht.«

 

Trevrizents Höhle ist heute noch zugänglich. Bei der Errichtung des englischen Gartens erhielt sie den Namen Temple de Prosperine. Aus der Kargheit der Einsiedlerklause wurde damals ein ziemlicher Pomp gemacht, mit Altar, über dem ein feuerspeiender Drache schwebte, Prosperina-Statue, usw. Inhaltlich stattete man diese Grotte in Rousseauischer Naturverehrung aus. Eine Huldigung »der Göttin der Unterwelt, die im Frühling hinaufsteigt, um so aus dem Inneren, Verborgenen heraus das Sprießen und Aufblühen in Bewegung zu bringen. Bereits im Jahr 1788 wurde die Fackel, die bis dahin als Sinnbild des Reinen und Edlen, der inneren Natur des Menschen gegolten hatte, zu einem Symbol des Todes, neben Sanduhr und Sense. Und im Jahre 1789, als die Französische Revolution ausbrach, entfernte man die Statue der Pros-perina, um dem Sinnbild der Meditation einen Platz zu schaffen. Der Weg führte jetzt durch die Grotte des Todes und der Auferstehung.« (J . Arnoth)

Greub sieht in dem Tempel der Prosperina eine Verbindung zu vorchristlichen, sogenannt »großen Mysterien« . Er sagt auch, »dass die eigentliche Grals-Aufgabe im 9. Jahrhundert darin bestand, die verlorengegangene Verbindung mit den antiken Hochkulturen neu zu knüpfen. Im Urchristentum war diese Verbindung noch vorhanden.« Erst nach Augustinus sei das Wissen um den Zusammenhang des Christen-tums mit dem Weltenplan verlorengegangen. Greub geht noch weiter, indem er schreibt: »Der letzte Eingeweihte, der nach Paulus und vor Titurel noch auf ähnliche Art Einblick in die himmlischen Hierarchien erhalten hat, war der Apokalyptiker Johannes. Was Johannes damals zu seiner Apokalypse inspirierte  – oder was ihm offenbart wurde  –, das schaute auch der Einsiedler des Grand Saint Graal, der neue Gralshüter des 8. Jahrhunderts. Die Übereinstimmung des Grals-Christentums mit dem Johannes-Christentum ist deshalb so auffallend, weil sowohl Johannes auf Patmos wie der Einsiedler in der waldigen Bertane vom gleichen Meister des Grals  – welcher mit Christus identisch ist  – eingeweiht worden sind. Das Grals-Geschlecht kannte zweifellos diesen Zusammenhang. Odilie weihte ihre Kapelle dem heiligen Johannes. Der Geograph stellt auch eine große Ähnlichkeit fest zwischen der Höhle auf Patmos, in welcher Johannes die Apokalypse konzipierte und der Höhle des Trevrizent in der waldigen Bertane (Eremitage), welche 100 Jahre vor Trevrizent der Ort gewesen sein konnte, an welchem die abgerissene Grals-Tradition neu begründet worden ist.«

 

Parzival bleibt fünfzehn Tage lang bei Trevrizent, der ihm Gralsunter-weisungen erteilt. Er erhält später auf seinem Weg zur Gralsburg einen Begleiter. Zuerst kämpfen die beiden unerbittlich gegeneinander. Dann erkennt Parzival, dass es sein Halbbruder Feirefis ist. Parzival begreift: Um vor dem Gral zu erscheinen, muss man einen Menschenbruder mitbringen. Sie erreichen, unter Kundries Führung, Munsalvaesche. Dort stellt Parzival die entscheidende Frage, die Gralsfrage. Sie bedingt die »Entwirrung« (Meyer) des an sich selbst erfahrenen Schicksals. Parzival wird zum Hüter des Grals. Er sieht auch seine Frau Conduir amour wieder, die mittlerweile Zwillinge, Gardais und Lohengrin, geboren hat.

Mir ging es nun nicht darum, Parzivals Weg fotografisch darzustellen. Das hätte theatralische Effekte erfordert, was ich vermeiden wollte. Bringt man das Thema  –  wie es Wagner in der Reife seines Schaffens getan hat  –  auf die Bühne,  ist eine dramaturgische Umsetzung unvermeidbar, zumindest in der Form einer Oper.

Mich reizte die Verbindung des Themas zum Archaischen. Die  »Substanz« des Ortes Terre de Salvaesche ist über Tausende von Jahren dieselbe geblieben. Das macht es nicht leicht, dem Gebiet eine Öffnung abzuverlangen. Doch gerade eine solche Haltung besitzt man, wenn man (mit Kamera bewaffnet) erstmals dort eindringt. Man will Ergebnisse sehen, was nicht funktionieren kann. Rasch begriff ich, dass ich eine bestimmte Schwelle übertreten musste, sonst würde mir das Wesentliche verschlossen bleiben.

Die Lichtverhältnisse in der Gegend sind fototechnisch gesehen äußerst schwierig, da sich viele Orte mitten im Wald befinden. Ich fotografierte selten am Morgen oder am Abend, sondern nutzte die Mittagsonne, um die Klarheit des Lichts zu steigern. Farbe hatte darin für mich keinen Platz.

Parzival ist eine Schwarz-Weiß-Geschichte, in der das Licht siegt. »Der Freund des Schwankenden Gemütes: er ist völlig schwarz gefärbt und gleicht auch bald der Finsternis; dagegen hält sich an das Lichte, der innerlich gefestigt ist«, steht in Wolframs Parzival am Anfang ge-schrieben.

Der Gral ist das Licht. Licht ohne Schatten. Doch bis dort ist es ein weiter Weg...

Silvio Panosetti

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